Wann hast du das letzte Mal etwas ohne dein Handy gemacht?

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Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich an einem schönen Ort am Vierwaldstättersee, in dessen kühlem Nass ich mir gerade eben eine wohltuende Erfrischung gönnen durfte. 
Mein Handy wartet derweilen zu Hause geduldig auf meine Rückkehr. Zugegeben – es ist in den letzten Minuten schon ein paar Mal vorgekommen, dass ich fast automatisch das Handy zücken wollte, nur um mich gleich darauf wieder daran zu erinnern, dass ich es ja gar nicht bei mir habe.
Nun gibt es halt kein Foto vom leckeren Eiskaffee und über den Anti-Aging-Effekt, der entsteht, wenn wir täglich etwas tun, das wir noch nie zuvor getan haben, muss ich ein andermal schreiben, da ich dafür noch etwas hätte googeln wollen.
Dafür habe ich seit längerer Zeit endlich wieder einmal vollkommen ungestört ein Kapitel in einem tollen Buch gelesen. Gerade im Zusammenhang mit dem Thema Lesen höre ich immer wieder von Menschen in meinem Umfeld, dass ihnen u.a. wegen den ständigen Ablenkungen durch das Handy die Fähigkeit, konzentriert ein Buch zu lesen, richtiggehend abhandengekommen ist. Während es bei mir noch nicht ganz so schlimm ist, kann ich mir dennoch durchaus vorstellen, wie es dazu kommen kann.

Wie wohl kaum einem anderen technischen Gerät unserer Zeit gelingt es dem Handy, uns immer wieder aus dem gegenwärtigen Moment herauszureissen.
Hast du beispielsweise gewusst, dass nur bereits durch ein auf dem Tisch liegendes Handy der Gehalt, die Intensität und die emotionale Tiefe der an diesem Tisch geführten Gespräche wissenschaftlich messbar abnimmt? (> Link zur Studie) Wer möchte sich schon öffnen und etwas Persönliches von sich preisgeben, wenn permanent die Gefahr besteht, durch das Handy unterbrochen zu werden?

Mit diesem kleinen Text möchte ich dich ermuntern, dir auch wieder einmal eine Zeitspanne zu gönnen, in der du dich mit ganz und gar ungeteilter Aufmerksamkeit der von dir gewählten Aktivität widmen kannst. Egal, ob du auf deinem Balkon sitzt, nichts tust und dem Spiel der Wolken am Himmel zusiehst, ein spannendes Buch liest, arbeitest, dich mit Freunden triffst, einer sportlichen Aktivität nachgehst oder im Garten arbeitest – versuche es doch wieder einmal ohne die Anwesenheit eines Handys. Führe das Handy auch nicht in der Hosentasche mit (oder noch schlimmer im BH – wie heute Morgen in der Waschküche bei meiner Nachbarin beobachtet), sondern leg es wirklich ganz beiseite. Indem du ganz ohne (potenzielle) Ablenkung bei dem bist, was du tust, steigerst du dadurch die Wertigkeit deines Tuns um ein Vielfaches und im Idealfall kommst du aus dem Tun ins reine Sein.

Es geht mir hier nicht darum, das Handy zu verteufeln, denn es ist wirklich ein extrem nützliches Tool, das vieles im Alltag erleichtert. Allerdings sollten wir dem Handy nicht erlauben, uns zu dominieren, sondern stattdessen einen klugen Umgang mit ihm erlernen. Das berühmte Wagengleichnis in der Katha Upanishad (III. 3-4) lehrt uns, dass wir unsere Sinne nicht wie wildgewordene Pferde unkontrolliert umhergaloppieren lassen sollen, sondern diese mithilfe von manas (Geist/mind) zügeln und unter die Herrschaft des Wagenlenkers (buddhi = Intuition/höhere Weisheit) bringen sollen, damit sie dem Wagenbesitzer (atman = höchstes Bewusstsein, innerster unzerstörbarer Kern im Menschen) dienen können.
Während das Handy sicher nicht als eigenständige neue Sinnesfähigkeit bezeichnet werden kann, so finden sich doch zahlreiche Parallelen zu unseren Sinnen. Gleich wie die Sinne ermöglicht uns auch das Handy die Interaktion mit unserer Umwelt und unseren Mitmenschen – gerade auch auf Arten, die aufgrund von Distanz etc. früher so nicht möglich waren.

Eine der ersten Lektionen im Yoga bzw. in der Yogaphilosophie ist die Erkenntnis, dass für beständige, tiefe Erfüllung Ruhe im Geist unabdingbar ist. So wertvoll unsere Sinnesfähigkeiten auch sein mögen, bringen sie es doch auch mit sich, unsere Aufmerksamkeit oft unweigerlich ins Aussen und damit (meist) in die Zerstreuung zu führen. Aus diesem Grund gilt der Rückzug der Sinne (pratyahara) – symbolisiert durch die Schildkröte (kurma) – im Yoga Sutra als Grundlage der tieferen Konzentrations- bzw. Meditationsstufen.
Gleich wie die Sinne kann uns auch das Handy ins Aussen und in die Zerstreuung führen. Der gelegentliche, bewusste Rückzug vom Handy ermöglicht es uns, auch im Alltag in tiefere Erfahrungsdimensionen vorzudringen und bestenfalls ab und zu einen Flow-Zustand zu erreichen, in dem wir ganz und gar in unserem Tun und im gegenwärtigen Moment aufgehen können.

Den Rückzug vom Handy werde auch ich bald wieder für mehrere Tage praktizieren, weshalb der nächste Blog-Beitrag erst im August erscheinen wird. Ab nächstem Sonntag werde ich mit dem Kajak zwischen Schweden und Finnland unterwegs sein.
So wünsche ich allen weiterhin einen wunderschönen Sommer und viele bereichernde Erlebnisse mit – und hoffentlich immer öfter auch ohne – Handy.

P.S. Über Kommentare zu euren Erfahrungen mit und ohne Handy freue ich mich sehr!

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Eine kleine Anekdote aus dem Leben eines angehenden Outdoor Guides

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Warum ich kein Fan strikter Routinen bin