Warum es sich lohnt, ab und zu die eigene Komfortzone zu verlassen
In meinem letzten Beitrag beschrieb ich eine Episode aus meiner zweiten Ausbildungswoche zum Outdoor-Guide. Heute möchte ich einen weiteren Impuls aus dieser Ausbildungswoche aufnehmen und diesen anhand meiner eigenen Erfahrungen noch ein wenig weiter ausführen.
Es handelt sich dabei um das Komfortzonenmodell. Jede/r von uns hat wohl schon einmal gehört, dass man immer wieder einmal Dinge tun sollte, die ausserhalb der eigenen Komfortzone liegen. Doch warum ist das so und was steckt eigentlich noch hinter diesem bekannten Modell?
Konkret geht das Komfortzonenmodell von drei Zonen aus, in denen wir uns als Menschen befinden können. Erstens die bereits erwähnte Komfortzone. Hier fühlen wir uns wohl und sicher und wissen, was uns erwartet. Hier können wir uns entspannen und fühlen uns aufgehoben. Die Kehrseite der Komfortzone ist jedoch, dass bei einem zu langen oder gar ständigem Aufenthalt in ihr irgendwann unweigerlich ein Gefühl der Langeweile, Monotonie und Lustlosigkeit entsteht.
Als zweites folgt die Risiko- oder Lernzone. In diesem Bereich werden wir mit Situationen konfrontiert, die uns herausfordern. Hier sind wir in einem Terrain unterwegs, das wir noch nicht kennen oder wo wir uns noch unsicher fühlen. Oft geht es hier darum, dass wir uns unseren Ängsten stellen und etwas Neues wagen, auch auf die Gefahr hin dabei zu scheitern. Wir riskieren, uns vor uns selber oder vor anderen zu blamieren. Wir zeigen uns, so wir wirklich sind – auch mit unseren Schwächen und weniger schmeichelhaften Seiten.
Die im letzten Blog-Beitrag beschriebene Führungsübung lag für mich definitiv in diesem Bereich. Der grosse Gewinn dieser Zone ist jedoch, dass die gemeisterten Herausforderungen bleibende Erinnerungen und inneres Wachstum generieren, das uns niemand je mehr nehmen kann. Es sind Momente, auf die wir zu Recht mit gesundem Stolz zurückblicken und manche davon vielleicht sogar noch unseren Grosskindern erzählen werden.
Schliesslich gibt es noch eine dritte Zone, deren Name bereits andeutet, worum es hier geht: die sogenannte Chaos- oder gar Todeszone. Hier landen wir, wenn eine Situation soweit aus dem Ruder läuft, dass wir die Kontrolle komplett verlieren. Hier schlägt die Angst in nackte Panik um, die Situation ist nicht mehr konstruktiv und es kann kein Lernen mehr stattfinden. Ängste können nicht mehr abgebaut werden, sondern neue Traumata werden aufgebaut.
Soweit zur Theorie.
Doch was können wir nun für uns persönlich aus diesem Modell mitnehmen?
Wo immer wir uns in einer Situation befinden, wo wir andere Menschen führen, sind wir aufgefordert, unsere «Schützlinge» immer wieder auch an Situationen heranzuführen, die ausserhalb ihrer Komfortzone liegen. Hierbei ist selbstverständlich sehr viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt. Wir als LeiterInnen, Verantwortliche, Eltern etc. müssen die Situation jederzeit so im Griff haben, dass wir die «Übung» abbrechen könnten, würde sie aus dem Ruder laufen – sprich, wenn Gefahr bestünde, von der Risiko- in die Chaoszone zu gelangen. Wir als Leitende sollen (heraus)fordern, aber nicht überfordern. Und – ganz wichtig – wir sollten sicherstellen, dass sich alle Beteiligten nach einem Exkurs in die Risikozone am Ende einer (Yoga-)Lektion, am Ende einer Wanderung, bei Projektabschluss, am Abend etc. wieder in der Komfortzone befinden, denn der permanente oder zu lange Aufenthalt in der Risikozone ist im wahrsten Sinne des Wortes ungesund. Gezielte Ausflüge in die Risikozone sind mit gesundem Stress, dem sogenannten "Eustress" verbunden. Befinden wir uns jedoch zu lange in diesem Bereich, droht der Stress chronisch und damit ungesund zu werden (der sogenannte "Distress").
Ich persönlich liebe das Lernen und suche mir daher bewusst immer wieder Situationen, die mich aus meiner Komfortzone herausholen. Diese Situationen müssen jedoch bei weitem nicht immer etwas Spektakuläres sein. Oft sind es auch Situationen im zwischenmenschlichen Bereich, die von Aussen absolut unspektakulär aussehen. Hier geht es meist darum, mich ganz und gar zu zeigen, ohne jegliche Masken – auch auf die Gefahr hin, dann vielleicht abgelehnt und nicht mehr geliebt zu werden.
Hauptsächlich geht es mir aber darum, durch Explorationen in die Risikozone meine eigene Komfortzone Stück für Stück zu erweitern, mit dem ultimativen Ziel, mich in jeder Lebenssituation, egal ob drinnen oder draussen, egal ob heiss oder kalt, egal mit was für Menschen, ja sogar egal ob gesund oder krank, wohl und komfortabel zu fühlen.
Zugegeben – von diesem Ziel bin ich noch meilenweit entfernt, aber es eilt ja auch nicht. Es ist für mich Teil meines (Yoga-)wegs und daher ein lebenslanger Prozess…
Wenn ich mir selber Herausforderungen stelle, denen ich mich im Moment noch nicht wirklich gewachsen fühle, kommt mir mein sehr tief verwurzeltes Urvertrauen jeweils sehr zu Gute. Damit meine ich das Vertrauen, dass es «schon gut kommt», dass ich geführt werde, dass Menschen oder äussere Umstände auftauchen werden, die mich in meinem Unterfangen unterstützen. Dieses tiefe Gefühl des Getragenseins im Leben ist meiner Meinung nach nicht etwas das man bewusst «machen» oder auf Knopfdruck herbeiführen kann. Warum es manche Menschen stärker oder weniger stark erleben, hat wohl meist weit zurückliegende Gründe (Kindheit, Geburt, vorgeburtliche Erfahrungen, …), auf die ich jedoch an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte.
Fakt ist, dass Yoga und Meditation ganz wertvolle Hilfsmittel sein können, um solch ein Vertrauen Schritt für Schritt aufzubauen oder um wieder damit in Verbindung zu kommen, wenn wir den Kontakt zeitweilig verloren haben.
Yoga und Meditation lehren uns, Heimat, Sicherheit und Geborgenheit im eigenen Körper und Atem zu finden. Der eigene Körper und Atem sind Fixpunkte in unserem Leben, zu denen wir immer zurückkehren können, auch wenn es rund um uns herum gerade «stürmt».
Natürlich sind Körper und Atem nicht unversehrbar – Krankheiten, Unfälle, Stress etc. können beide beeinträchtigen. Und doch gibt es laut der Philosophie des Yoga in unserem Körper einen unversehrten, ja unversehrbaren Kern (in den Upanishaden atman genannt), zu dem wir immer zurückkehren bzw. mit dem wir immer in Verbindung treten können. Egal, welche inneren und äusseren Umstände uns gerade zu schaffen machen, hier können wir Ruhe und Frieden finden. Und von hier aus kann auch das Vertrauen wachsen, dass wir den Herausforderungen, die uns das Leben stellt oder die wir selbst uns stellen, gewachsen sind.
Doch nun zu dir.
Vielleicht befindest du dich im Moment in einer Situation, wo du dich mit vielen Herausforderungen konfrontiert siehst. Vielleicht hältst du dich gerade jetzt oder schon seit längerer Zeit in der Risikozone auf. Dann geht es für dich in erster Linie im Yoga und auch in deinem Alltag darum, herauszufinden, was du für dich selbst tun kannst oder was andere Menschen in deinem Umfeld für dich tun können, damit du (zumindest hin und wieder) in deine Komfortzone zurückkehren und dort neue Kraft tanken kannst.
Solltest du dich hingegen in einer Situation befinden, wo dir dein Leben etwas langweilig vorkommt, wo du das Gefühl hast, auf der Stelle zu treten und dich im immer selben Trott gefangen fühlst, könnte es für dich spannend sein, dir selber wieder einmal eine herausfordernde Aufgabe zu stellen, die dich zwingt, vom komfortablen Sofa aufzustehen und ein paar Schritte in der Risikozone hinein zu wagen...