Was Yoga und Winterschwimmen gemeinsam haben
Sicherlich haben manche von euch schon mitbekommen, dass ich neben dem Yoga seit einiger Zeit eine weitere Leidenschaft habe, die mittlerweile einen festen Platz in meinem Leben eingenommen hat. Wie man dem Titel dieses Textes unschwer entnehmen kann, handelt es sich dabei ums Winterschwimmen. Ein Frage hat mich diesen Sommer immer wieder beschäftigt: Was ist es, das mich immer wieder ins kalte Wasser zieht – manchmal fast regelmässiger als auf die Yogamatte?
Dieser Frage möchte ich im vorliegenden Text nachgehen… Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich in meiner Funktion als Delegierte der Europäischen Yogaunion (EYU) am jährlich stattfindenden Yogakongress in Zinal (Wallis), wo ich auf dem hiesigen Camping-Platz übernachte. Um ein wenig mobiler zu sein, habe ich mein Velo mitgenommen. So entschliesse ich mich nach meiner Ankunft gestern Abend zu einer abendlichen Velotour der Navisence entlang. Dies ist ein reissender Gletscherbach oder fast schon Fluss, der durch das gesamte Val d’Anniviers fliesst um schliesslich Sierre in die Rohne einzumünden.
Als mittlerweile schon recht geübte Winterschwimmerin sind solche Bäche im Sommer ein wahrer Segen für mich, da man im Tal so gut wie nirgends mehr kaltes Wasser findet. Möchte man den Trainingseffekt des Winters auch den Sommer über aufrechterhalten, bleibt einem also nichts anderes übrig, als regelmässig seine Badewanne mit Eis zu füllen oder eben in die Berge zu fahren. Diesen Sommer entschied ich mich für das letztere. Leider habe ich dieses Mal kein Thermometer dabei, doch von Einheimischen lasse ich mir sagen, dass die Wassertemperatur der Navisence im Moment 2 Grad betrage. Diese Info lässt mein Herz gleich noch etwas höherschlagen – denn so kaltes Wasser findet man in der Schweiz im Sommer wirklich nur bei Fliessgewässern in Gletschernähe.
Während ich so auf meinem Velo unterwegs bin, halte ich beinahe unwillkürlich Ausschau nach geeigneten Badestellen, wo das Wasser etwas tiefer und die Strömung nicht ganz so reissend ist. Die Lufttemperatur um 20.00 Uhr ist im Bergtal auf 1600 m selbstverständlich auch schon recht erfrischend, so dass sich einige der wenigen weiteren beherzten Camper bereits in ihre Zelte zurückgezogen haben. Auch ich denke deshalb zuerst nicht an ein Bad, doch je länger ich dem Flusslauf folge, desto stärker wird er Wunsch, doch zumindest mal ein kleines „Test-Bad“ zu nehmen.
Also entledige ich mich meiner Kleider (es ist keine Menschenseele in der Nähe), balanciere über einen vom Wasser glattgewaschenen Baumstamm und übergebe mich dann ganz dem Eiswasser. Da ich weiss, dass ich mich nach dem Bad nirgends aufwärmen kann, keine sonderlich warmen Kleider oder Tee dabei habe, bleibe ich nicht allzu lange drin – doch auch dieses kurze Bad, umgeben von einer phantastischen Bergwelt, ist definitiv der glücklichste Moment meines Tages und plötzlich, während ich noch halbnass dastehe, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Citta vritti nirodha – das ist das verbindende Element zwischen Winterschwimmen und Yoga. (Yogas) citta vritti nirodha ist der zweite Vers aus Patanjalis Yoga Sutra (verfasst ca. 200 v. und 200 n. Chr.), in dem der Zustand oder das Ziel des Yoga beschrieben wird. Citta vritti nirodha (Gedankenstille / Ruhe im Geist) ein Zustand, von dem wohl jeder Yogalehrende oder -praktizierende schon tausendmal gehört hat und der dennoch so schwer zu erreichen ist. Jede/r, der oder die schon einmal meditiert hat, kennt das Problem des Gedankenkarussells nur allzu gut, das sich manchmal trotz allerredlichsten Bemühungen einfach nicht abstellen lässt.
Anders ist es jedoch beim Winterschwimmen. Was ich schon so oft erlebt habe, wird mir gestern zum ersten Mal so richtig bewusst – je kälter das Wasser, desto ruhiger der Geist! Die körperlichen Empfindungen beim Eintauchen ins eiskalte Wasser sind so stark, dass einfach keine anderen Gedanken Platz haben. Dieses Eintauchen in die Stille wirkt unglaublich erfrischend und energetisierend. Gerne vergleiche ich es mit dem Neustart eines eingefrorenen Computers. Alle fehlerhaften Programme laufen danach wieder einwandfrei. Die Zuverlässigkeit, mit der sich die Gedankenstille beim Winterschwimmen einstellt, ist wohl der Grund, warum ich manchmal den Sprung ins kühle Nass der Praxis auf der Yogamatte vorziehe. Dennoch möchte ich natürlich auch diese nicht missen – und wenn sich auf der Yogamatte die Ruhe auch mal nicht sofort oder gar nicht einstellen mag, so ist dies dennoch immerhin eine gute Geduldsübung, die ich auch nicht missen möchte!
In diesem Sinne wünsche ich allen viel Ruhe und Gelassenheit für das Meistern der kleinen und grossen Herausforderungen des Alltags.