Was ist ein Self-Retreat?
Ein Beitrag für alle, die sich eine Auszeit in den eigenen vier Wänden gönnen möchten oder sich in Corona-Quarantäne befinden.
Heute möchte ich gerne etwas mit dir teilen, das in meinem Leben schon seit vielen Jahren eine wichtige Rolle spielt: Sich in regelmässigen Abständen Zeit zu nehmen für die persönliche Yoga- und Meditationspraxis, für Innenschau und Reflexion. Dies ist etwas, das jedem Menschen guttut, aber das ich insbesondere auch allen Yogalehrerinnen und -lehrern ans Herz legen möchte, da es eben auch bei YogalehrerInnen nicht selbstverständlich ist, dies zu tun…
Vielleicht sollten wir damit beginnen, zuerst einmal zu klären, was überhaupt ein Retreat ist. Das englische Wort «Retreat» bedeutet laut Macmillan Dictionary of English “a peaceful and private place where you can go in order to rest” oder “the period of time that you spend resting in a peaceful and private place”. In Yoga- oder Meditationskreisen bedeutet “Retreat” eine Art Zurückziehung vom Alltag, meist in einem Retreat-Center wie z.B. dem Lassalle-Haus oder ähnlichen Lokalitäten.
Doch es ist nicht immer nötig, gleich für mehrere Tage irgendwohin zu gehen – ein Retreat ist auch von zuhause aus möglich (sofern man dort eine Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen) und muss auch nicht immer mehrere Tage dauern.
Traditionellerweise gibt es auch Self-Retreats, die man in einem Retreat-Center durchführen kann. Dies wird auch immer beliebter in christlichen Klöstern mit Angeboten wie «Auszeit im Kloster», doch in diesem Beitrag möchte ich mich mit Self-Retreats von zuhause aus beschäftigen.
Wozu ist ein Self-Retreat gut?
Self-Retreats eignen sich hervorragend zum Auftanken und Regenerieren, wenn die eigenen Batterien nicht mehr so gut gefüllt oder gar leer sind. Es eignet sich auch sehr gut für Menschen, die viel mit anderen Menschen arbeiten und vor allem für solche die – wie ich – von Natur aus eher introvertiert sind. Für introvertiert veranlagte Menschen kann das Zusammensein mit vielen Menschen mit der Zeit recht anstrengend und kräftezehrend sein. Umso wichtiger sind daher Zeiten, während denen man sich wiedermal «in seine Höhle» zurückziehen und auf sich selbst besinnen kann.
Self-Retreats eignen sich auch in Situationen, wo man eine persönliche Standortbestimmung vornehmen möchte oder wenn man in Ruhe an einem kreativen Projekt wie z.B. an einem Buch oder einer anderen Form des künstlerischen Ausdrucks arbeiten möchte.
Was unterscheidet ein Self-Retreat von einem Retreat in einem Yoga- oder Meditationszentrum?
Der grösste Unterschied besteht darin, dass ein Self-Retreat wesentlich mehr Selbstdisziplin benötigt als ein geführtes Retreat in einem Zentrum. Erstens fehlt der unterstützende Rahmen einer Gruppe und zweites ist man selbst für die Gestaltung der Tagesstruktur zuständig. Falls du noch nie ein Self-Retreat gemacht hast, empfehle ich dir, dein Retreat vorgängig gut zu planen. Falls du hingegen geübter bist, kannst du auch «Free Flow» ausprobieren und schauen, welche Aktivitäten oder Formen der Praxis sich natürlicherweise ergeben.
Was beinhaltet ein Self-Retreat?
Wie in geführten Retreats geht es auch im Self-Retreat darum, alle Aktivitäten des Tages in grösstmöglicher Achtsamkeit auszuführen. Dies bedeutet, dass grundsätzlich verschiedenste Aktivitäten möglich sind, solange sie achtsam ausgeführt werden. Trotzdem möchte ich gerne ein paar Ideen liefern, welche Aktivitäten Teil eines Self-Retreats sein könnten:
Grundsätzlich gilt, dass man während des Retreats immer wieder Zeiten der Stille hat oder sogar das ganze Retreat im Schweigen stattfindet. An Tagen, an denen ich ein Self-Retreat praktiziere, treffe ich mich also nicht mit Freunden und wenn überhaupt, habe ich nur mit ausgewählten Personen Kontakt (mehr dazu unten).
Typischerweise steht man zeitig auf und beginnt den Tag mit einer Yoga- und/oder Meditationspraxis vor dem Frühstück. Eine schöne Alternative könnte auch ein Morgenspaziergang an der frischen Luft sein.
Das anschliessende Frühstück sollte wie alle Mahlzeiten etwas Gesundes und liebevoll Zubereitetes sein. Auch das Essen kann achtsam gestaltet werden, indem man sich während des Essens nicht durch Radio, Bücher oder andere Inputs ablenken lässt, sondern ganz präsent ist bei den Sinnesempfindungen jedes einzelnen Bissens. Generell wichtig zum Thema Essen: Eher etwas weniger essen als «normal», da ansonsten zu viel Energie für die Verdauung draufgeht. Allerdings geschieht dies oft von alleine, wenn man mit Achtsamkeit isst.
Die notwendigen Haushaltsarbeiten können ebenfalls in Achtsamkeit ausgeführt werden. Auch in vielen Yoga- und Meditationszentren ist eine Stunde Hausarbeit wie z.B. Abwaschen, Staubsaugen oder Gemüse schnippeln ein offizieller Punkt im Tagesprogramm.
Nach dem Essen und der Hausarbeit nehme ich mir gerne Zeit für Lektüre spiritueller oder philosophischer Natur oder ich höre einen Podcast zu einem spirituellen Thema.
Ein weiterer wichtiger Teil ist für mich das Schreiben. Dies kann schon am frühen Morgen beginnen mit dem Aufschreiben von Träumen oder beispielsweise nach der Lektüre (oder dem Anhören) eines spirituellen Impulses. Oft mache ich mir Notizen dazu und reflektiere, was das Gehörte mit meinem eigenen Leben zu tun hat. Manchmal tauchen auch in der Meditation Gedanken oder Erkenntnisse auf, die sich aufzuschreiben lohnen und die sich mit dem Schreiben oft noch weiterentwickeln.
Nach dem Schreiben bietet sich ein weiteres Zeitfenster für eine Praxis an. Unter dem Begriff «Praxis» verstehe ich alles, in dem man sich üben möchte. Vielleicht ist es bei dir etwas Klassisches aus dem Yoga- oder Meditationsbereich. Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Z.B. könnte auch das Praktizieren eines Musikinstruments dazugehören.
Vor dem Mittagessen empfiehlt sich eine weitere kurze Meditationseinheit, sozusagen als Vorbereitung auf das achtsame Essen.
Wer sich nach dem Essen müde fühlt, könnte den frühen Nachmittag für ein Nickerchen oder ein Yoga Nidra / Body Scan nutzen. Für mich persönlich ist es meist die Zeit für einen ausgedehnten Spaziergang in der Natur – möglichst an einem Ort, an dem ich nicht zu vielen Menschen begegne. Manchmal nutze ich einen Teil des Spaziergangs, um eine spirituelle Freundin / einen spirituellen Freund anzurufen. Spirituelle Freunde sind für mich Menschen, mit denen man sich zensurlos über das eigene Innenleben unterhalten kann und spirituelle Themen Platz haben. Es sind Menschen, die nicht gleich bewerten und urteilen, die gut zuhören können und dennoch auch ein konstruktiv-kritisches Feedback zum Gehörten geben.
Gegen Abend bietet es sich an, Körper und Seele ein wenig zu verwöhnen – z.B. mit einem warmen Bad oder – falls vorhanden einem Saunagang oder ähnlichem.
In meiner Erfahrung ist der spätere Nachmittag ein guter Zeitpunkt, um das Self-Retreat zu beenden, so dass man den Abend noch mit der Familie oder dem Partner/der Partnerin verbringen kann und gegebenenfalls die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse miteinander teilen kann.
Wie lange dauert ein Self-Retreat und wie oft sollte ich eines machen?
Es gibt keine fixe Dauer, wie lange ein Self-Retreat dauern sollte. Bei mir persönlich dauert es meistens einen Tag. Falls du keinen ganzen Tag zur Verfügung hast, kannst du natürlich auch mal mit einem halben Tag starten. Länger ist selbstverständlich ebenfalls möglich.
Auch wie oft du dir ein Self-Retreat gönnen möchtest, liegt ganz bei dir. Ich versuche, es mindestens einmal pro Monat zu machen. Wichtig scheint mir noch anzufügen, dass ein Self-Retreat nichts Egoistisches ist. Du tust dir zwar etwas Gutes damit, doch indem es dir selber besser geht bzw. du durch das Self-Retreat neue Impulse für deine Tätigkeit als YogalehrerIn gewinnen kannst, tust du gleichzeitig auch wieder etwas, das den Menschen um dich herum zu Gute kommt.
Hast du auch Lust bekommen auf ein Self-Retreat oder du hast dies schon (regelmässig) praktiziert? Ich würde mich freuen über deine Erfahrungen zu lesen. 🤗